Von all den edlen und kühnen Recken, die uns im Nibelungenlied vorgestellt werden, findet einzig Siegfrieds Wappen Erwähnung und Beschreibung. Das mag erstaunen, denn um das Jahr 1200 als das Epos niedergeschrieben wurde, war die „Mode“ der Heraldik noch jung. Andere Liederhandschriften der Zeit bieten eine große Anzahl von Wappendarstellungen. Liegt im Siegfried-Wappen des Liedes der Schlüssel zur einer Identifizierung verborgen?Der Siegfried des Nibelungenlieds hat von seiner Faszination bis heute nichts eingebüßt. Vor allem die Frage nach dem historischen Vorbild dieser Gestalt hat immer wieder die Gemüter erhitzt. Der Verfasser dieses Buches, der bei der Terra-X-Sendung „Der Nibelungencode“ mitwirkte, gibt nun eine neue Antwort auf die Frage: Wer war Siegfried? – In seiner Untersuchung des im Nibelungenlied erwähnten Wappens Siegfrieds kommt er zu dem überraschenden Ergebnis, dass die Siegfriedsgestalt eng mit dem Königshaus des alten Burgund und den legendären frühen Habsburgern verbunden ist. Neu ist auch sein staatssymbolischer Ansatz, der Verbindungen zu bedeutenden Herrschern der römischen Kaiserzeit und des fränkisch-deutschen Mittelalters herstellt.
|
Klaus Mai: Siegfrieds Wappen und Heldentaten im Nibelungenlied – Legende oder geschichtliche Wirklichkeit? 132 Seiten, zahlr. farb. Abb., gebunden; Siebmacher’s Großes Wappenbuch, Ausgewählte Beiträge zur Heraldik, Bd. 1, Verlag Degener & Co., Am Brühl 9, 91610 Insingen, 2010; 19,80 Euro
Berührungspunkte zwischen der Literatur des Hochmittelalters und der Heraldik sind nicht neu. Erinnern wir uns nur an Wolfram von Eschenbachs phantasievolle Beschreibung des Heeres von König Artus und der Motivpalette der von ihm genannten „sunderwâpen“ oder der Schilderung des gemeinsamen (also Familien-)Wappens des Gahmuret von Anjou und seines Vaters in Wolframs großem Epos Parzival. Fakt ist längst, dass wir auch im Nibelungenlied nicht nur die literarische Fassung einer hochmittelalterlichen Sagenwelt vor uns haben, sondern sich darin – wie Klaus Mai in seiner verdienstvollen Arbeit erneut bestätigt – „historische Ereignisse, Vorgänge, Personen und Orte“ verbergen, wenngleich in oft schwer zu entschlüsselnder Form. Was das vorgelegte wissenschaftliche Werk des promovierten Psychologen, Soziologen bzw. Politologen Klaus Mai sowie Ko-Autors der renommierten Terra-X-Fernsehreihe so spannend macht, ist ein völlig neuer thematischer Ansatz: Klaus Mai fragt nicht nur nach der möglichen historischen Identität der Hauptperson(en) des – etwa zeitgleich zu Wolfram von Eschenbachs Werk – um das Jahr 1200 in seiner Urfassung niedergeschriebenen, weltberühmten Nibelungenliedes, er versucht eine Beweisführung erstmals über die Brücke der Heraldik. Und das bezogen auf einen Personenkreis, dessen Vita doch rund ein halbes Jahrtausend vor dem Entstehen der klassischen Heraldik anzusetzen ist! In seiner Recherche nähert sich der Verfasser gleichsam auf zwei Wegen der selbstgestellten Themafrage um die Zentralfigur Siegfried: Nachdem in der Handschrift C (Blatt 9r) in den Strophen 215 und 216 tatsächlich ein Wappenmotiv Siegfrieds beschrieben wird (übrigens das einzige im gesamten Nibelungenlied überhaupt!), folgt der Verfasser akribisch sowohl den heraldischen Spuren wie den im Nibelungenlied reichlich vorhandenen und für einen interessierten Laien außerordentlich komplizierten Angaben zur dynastischen Genealogie. Deren Verständnis wird aber durch die ordnende Graphik „Realgeschichtliche Anteile der Siegfriedgestalt“ außerordentlich erleichtert. Klaus Mai führt so mittels mehrfach begründeter Indizien und in behutsamen Schritten den Leser an die historische Identität Siegfrieds bzw. seines Vaters heran, und damit entschlüsselt er die Fundstelle zu Siegfrieds Wappen, die bislang eher als phantasievolle Erfindung des unbekannten Verfassers des Nibelungenliedes eingeschätzt werden konnte, zu einem Beleg für die reale Existenz eines tatsächlichen „Erb- bzw. dynastischen Wappens“. Noch dazu wiederholt das sog. Biterolf-Heldenepos (entstanden zwischen 1254 und 1260) diese heraldische Angabe: In beiden Fällen wird als Schildfigur eine Krone genannt, im Biterolf-Epos dient sie obendrein als Fahnen-Symbol. Während der militärischen Auseinandersetzung Siegfrieds mit den Sachsen – so berichtet uns das Nibelungenlied – erkennt deren König Liudeger seinen Gegner Siegfried anhand des Schildes mit dem Kronensymbol und weiß damit, dass es sich um den Sohn Siegmunds von Xanten handeln müsse. Klaus Mai holt nun über seine penible quellenkritische Forschung tatsächlich die handelnden Personen aus dem Dunstkreis einer bloßen Sage und ordnet sie – zu unserer Überraschung – in die seinerzeitige reale europäische Ereignis- und Territorialgeschichte ein. Die für eine heraldische und personale Zuordnung ansonsten unerlässlichen Farbangaben fehlen zwar im Nibelungenlied; Klaus Mai aber gelingt der schlüssige Beweis, dass die Farbe der Krone blau gewesen sein muss. Und noch mehr: Er identifiziert als zweite Schildfarbe Gold bzw. Gelb, zeigt uns den Zusammenhang mit dem seinerzeitigen Territorium Burgund auf und erkennt das Fortleben des Kronen-Wappens Siegfrieds bzw. das des burgundischen Königs Sigismund (dessen Identität mit Siegfrieds Vater Siegmund von Xanten der Verfasser überzeugend nachweist) sogar im Stammwappen des Hauses Habsburg, dessen roter Löwe in Gold bekanntlich eine blaue Krone trägt (wie uns, ungeachtet anderer blaugekrönter Wappenlöwen in diversen Adelswappen, z. B. ein Blick auf das sog. „Genealogische Wappen“ des Hauses Habsburg-Lothringen bestätigt). Um die auf 130 Seiten komprimierte Stoff-Fülle einordnen und gewinnbringend nachvollziehen zu können, wird der Leser – über eine kurze Einführung in die Heraldik – durch vier sorgfältig gegliederte und reich bebilderte Kapitel geführt, darin u. a. zu Kronenwappen in alten Wappensammlungen, über König Siegmunds Königreich, das austrasische Königtum sowie Austro-Burgund bis zu Siegfried selber als „Ideal des heldischen Herrschers“ und schließlich zur Klärung der personalen Identität Siegfrieds: Demnach „verkörpert der Siegfried im Nibelungenlied zwei historische Siegfriede, von denen der ältere dem 6. Jh. und der jüngere dem 12. Jh. angehört“. Damit aber erfährt die vom Verfasser zur Beweisführung genutzte heraldische Brücke ihre feste Verankerung: Denn zumindest die Vita des zweiten Siegfried ist klar der Entstehungszeit der uns bis heute vertrauten heraldischen Symbol- und Regelsprache zuzuordnen. Und hinter jenem zweiten Siegfried verbirgt sich – nach Klaus Mai – zweifelsfrei König / Kaiser Heinrich VI.; während der erste Siegfried aus einer „Verschmelzung“ zweier ebenso historisch greifbarer Persönlichkeiten entstanden sein dürfte, nämlich aus Sigerich, dem Sohn Sigismunds von Burgund und dem Merowinger Childebert II. Anschauliche Graphiken, genealogische Übersichten (u.a. der Burgunderkönige des Rhone-Reiches und der merowingischen Könige des 6. Jh.), umfangreiche Literaturangaben und exakte Bildnachweise unterstützen die notwendigerweise konzentrierte Lektüre, die man nicht wie einen Roman konsumieren kann, die aber den Leser schließlich mit dem Zugewinn neuer Kenntnisse und der Einsicht in unerwartete historische bzw. kulturgeschichtliche Zusammenhänge belohnt. Der Leser findet – geschickt eingebunden in den anspruchsvollen Text der staatssymbolischen Erklärungen – die vertrauten Kriterien der Siegfried-Sage wieder, ob Unverwundbarkeit, Tarnkappe oder Drachenkampf etc. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte: Selbst Wurzeln der staufischen Erbreichsidee werden erkennbar, deren Reinkarnation bekanntlich später der Habsburger Maximilian I. – verheiratet in 1. Ehe mit Maria von Burgund – mit allen ihm verfügbaren Mitteln (ob durch Krieg oder Heiratspolitik) erneut zu realisieren versuchte. Für die heraldische Forschung eine willkommene Bestätigung der Aussagekraft und Langzeitwirkung heraldischer Motive und Farben. Dem Rezensenten sei dazu ein ergänzendes Beispiel aus eigenen heraldischen Forschungen gestattet: So finden wir die gold-blauen Schrägteilungen (wie sie uns Klaus Mai u. a. in einer Abb. aus dem Jahre 1518 im Wappen des Königs Rudolf II. von Burgund und der Kaiserin Adelheid zeigt) noch Jahrhunderte später u. a. im vermehrten Schild des Königshauses Beider Sizilien wieder (hier als Teilwappen für „Alt-Burgund“): Sie sind deshalb auch Teil des großen Wappen-Drei-Vereins im Palazzo Vendramin-Calergi zu Venedig, mit dem die 1830 endgültig exilierte französische Herzogin von Berry (gebürtige Prinzessin Beider Sizilien) in der Sprache der Heraldik – wenngleich vergeblich – sichtbar für alle Besucher ihres Exils den fernen französischen Königsthron für ihren einzigen Sohn und letzten männlichen Bourbonen der älteren (französischen) Linie, den Grafen Heinrich von Chambord, reklamierte.
Eugen Schöler
|
Mai, Klaus: Siegfrieds Wappen und Heldentaten im Nibelungenlied. Legende oder geschichtliche Wirklichkeit? Insingen bei Rothenburg ob der Tauber: Bauer & Raspe 2010.134 pp.
Wer war Siegfried wirklich? Eine schwierige Frage, die die Mediävisten schon seit mehreren Jahrhunderten zu lösen versuchen, und über die es zahlreiche Bücher mit verschiedenen Theorien gibt. Der Vorschlag von Dr. Klaus Mai beinhaltet eine methodologische Neuheit, die sein Buch zu einem wirklich interessanten Text macht, da es einige Beweisführungen enthält, die zu einer Lösung des Problems beitragen könnten. Klaus Mai, Doktor der Universität Heidelberg (1976), stützt sich auf die Heraldik als Quelle, um die historische Person, die sich hinter Siegfried versteckt, zu entschlüsseln. Nicht neu ist die Beziehung zwischen Literatur und Heraldik (man denke an den Codex Manesse) oder die Beschreibung von Wappen in mittelalterlichen Epen (wie sie z.B. Wolfram von Eschenbach im Parzival macht), aber die Suche nach der Identität Siegfrieds, ausgehend von seinem Wappen, stellt einen äußerst spannenden Ansatz dar. Die ausgearbeitete und schlüssige Argumentation geht aus von den Strophen 215 und 216 des Nibelungenlieds. In diesen Strophen erkennt Liudeger Siegfried bekanntlich an seinem Wappen, auf dem eine Krone dargestellt ist. Die Krone wird daher zu einem Schlüsselmotiv auf der Suche nach der Entsprechung mit einer historischen Person. Das Werk besteht aus vier Teilen. Im ersten Teil mit dem Titel „Siegfrieds Wappen und seine heraldische Deutung“ befasst sich der Autor mit Ursprung und Bedeutung der Heraldik im 12. Jahrhundert. Von da aus gelangt er zu einer Rekonstruktion von Siegfrieds Wappen, das aus einer blauen Krone auf goldenem Feld besteht. Die Suche nach diesem Wappenmotiv in alten Wappenbüchern ergibt als realen Bezug für dieses Wappen den burgundischen König Sigismundus (Reg. 515-524). Im zweiten Kapitel „Siegmunds Königreich“ erzählt der Autor die Biographie dieses Königs im politischen Kontext seines burgundischen Königreichs. Gleichzeitig diskutiert er die Beziehung zwischen Sigismund von Burgund und Sigismund von Xanten, dem Vater Siegfrieds. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass es sich sehr wahrscheinlich um dieselbe Person handelt. Der heilige König Sigismund ist für das mittelalterliche Publikum von großer Bedeutung, weil er als Staatspatron zuerst des burgundischen Königreiches und später des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation verehrt wurde. Das dritte Kapitel „Siegfried und das austrasische Königtum“ stellt die Beziehung zwischen Siegfried und Sigibert I., König von Austrasien (Reg.: 561–575), her, indem die Machtsymbole beider in Bezug gesetzt werden. Sigibert kann als ein mögliches historisches Modell für Siegfried gesehen werden, aber nicht das einzige (S. Kptl. 4). Er war mit Brunichildis, einer Tochter des westgotischen Königs Athanagild, verheiratet und wurde im Krieg mit seinem Bruder Chilperich ermordet. Der Autor stellt auch die interessante Verbindung von Brunichildis zu den beiden entgegengesetzten Frauengestalten des Nibelungenliedes her: zu Brunhilde schon wegen ihres Namens und zu Krimhild. Brunichildis kooperierte zu ihrer Zeit mit Gunthramn von Burgund (Reg. 561-593), und dieser adoptierte ihren Sohn Childebert II.. Daraus resultiert ihre enge Beziehung zu dem Gunther des Nibelungenlieds, der dort zu ihrem Gatten wird. Aber man darf nicht vergessen, dass Brunhild ihre Brautnacht mit Siegfried verbringt, da Gunther sie nicht überwältigen kann. Aber Brunichildis ist laut dem Autor auch das Modell für Krimhild. Genauso wie die historische Brunichildis wegen des Todes ihres Gatten Sigibert eine gnadenlose Rachepolitik gegen Chilperich und dessen Frau Fredegunde durchführte, rächt sich die Krimhild des Nibelungenlieds grausam wegen Siegfrieds Tod. Zuletzt werden im 4. Kapitel des Werks, „Siegfried, das Ideal des heldischen Herrschers und Austroburgund“, die Herrschaftssymbole und Titel der burgundischen und austrasischen Monarchien zueinander in Beziehung gesetzt. In der Person Siegfrieds finden wir Charakteristika beider Monarchien. Daher hat der Verfasser neben der historischen Person Sigibert auch noch andere realhistorische Personen mit Elementen von Burgund und/oder Austrasien im Blick. So identifiziert er zwei weitere historische Personen als mögliche Modelle für Siegfried: Sigerich, den Sohn von Sigismund, ermordet wie Siegfried, allerdings von seinem eigenen Vater, und Childebert II., Sohn von Sigibert I., ebenfalls ein Mordopfer. Sigerich war Sigismunds leiblicher Sohn, Childebert wurde adoptiert von Gunthramn, dem König von Frankoburgund, und wurde dessen Nachfolger (Reg. 593-596). Insofern vereinen sich in Childebert die austrasische und die burgundische Monarchie. Außerdem findet der Verfasser ein viertes Modell für die Siegfriedsgestalt in Kaiser Heinrich VI. von Hohenstaufen, der ebenfalls König von Burgund war. Es handelt sich also laut Klaus Mai bei der Siegfriedsfigur um eine Verschmelzung von vier historischen Gestalten. Ein anderes interessantes Ergebnis des Werks ist die Verbindung, die der Verfasser zwischen dem Wappen Siegfrieds und der Heraldik der Habsburger herstellt. Insgesamt haben wir es mit einem gut geschriebenen, perfekt argumentierenden Werk zu tun, in dem der Versuch gemacht wird, einen neuen Blickwinkel im Hinblick auf Siegfrieds Identität einzubringen. Zu erwähnen ist an dieser Stelle die ausgezeichnete Ausgabe, die die Beweisführung mit unzähligen Grafiken und Illustrationen begleitet, welche seine These untermauern und so dem Spezialisten wie auch dem Laien dabei helfen, den Ausführungen von Klaus Mai zu folgen.
Francisco Javier Muñoz Acebes
Auf Spanisch ist die Rezension erschienen in Revista de Filología Alemana 2014, vol. 22, S. 281-282.
|